Anwendungsbereich des § 167 Abs. 2 SGB IX
Gilt § 167 Abs. 2 SGB IX nur für schwerbehinderte und gleichgestellt behinderte Menschen, oder für alle Beschäftigte?
Nach fast einhelliger Auffassung gilt § 167 Abs. 2 SGB IX für alle Beschäftigte. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. In dem Text der Vorschrift ist der Adressatenkreis genannt („Sind Beschäftigte …“) und weiter geregelt, dass die notwendigen Maßnahmen immer mit der Interessenvertretung i.S.d. § 93 SGB IX, aber nur bei schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Menschen auch mit der Schwerbehindertenvertretung abzuklären sind.
Gibt es Ausnahmen für befristet eingestellte Aushilfskräfte, Teilzeitkräfte etc.?
Grundsätzlich gilt die Vorschrift für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in einem regulären Beschäftigungsverhältnis stehen. Daher gilt sie selbstverständlich auch für alle Teilzeitkräfte unabhängig von der wöchentlichen Stundenzahl. Der Arbeitsplatzbegriff des § 73 SGB IX mit seinen Ausnahmen gilt hier nicht, da allein auf den Beschäftigten abzustellen ist. Insofern gilt die Vorschrift auch für Aushilfskräfte, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass natürlich auch hier alle Pflichten des Arbeitgebers mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses enden.
Was bedeutet „innerhalb eines Jahres“?
Bei der Jahresfrist ist nicht auf das Kalenderjahr, sondern darauf abzustellen, ob die betroffene Person in den letzten zwölf Monaten insgesamt länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Nur diese Berechnung ist mit dem Ziel des BEM, der Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz, vereinbar. Eine sinnvolle Gesundheitsprävention hat keinen Bezug zu dem jeweiligen Kalenderjahr sondern muss allein darauf abstellen, dass bei einem Beschäftigten über einen bestimmten Zeitraum gehäufte oder längerfristige Erkrankungen vorliegen.
Wie berechnet sich die Frist von 6 Wochen?
Bei dieser Frage ist zu unterscheiden, ob die Erkrankung länger als 6 Wochen ununterbrochen besteht oder die Frist von 6 Wochen durch mehrere Arbeitsunfähigkeitstage zu berechnen ist. Die erste Frist ist leicht zu bestimmen. Eine Erkrankung über 6 Wochen – 42 Tage – erfüllt die Voraussetzungen. Bei mehreren Erkrankungen ist abzustellen auf die Zahl der Arbeitstage und die Frist dann unter Berücksichtigung der üblichen Arbeitswoche zu berechnen. Arbeitet die betroffene Person in der 5-Tage-Woche, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen nach 30 Arbeitstagen mit Arbeitsunfähigkeitsmeldung vor. In der 6-Tage-Woche sind 36 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeitsmeldung erforderlich.
Muss für die zu zählenden Tage eine AU-Bescheinigung vorliegen?
Nein! Häufig muss erst ab dem dritten Tag einer Erkrankung eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt werden. Bei den beiden ersten Tagen liegt jedoch bereits eine Arbeitsunfähigkeit vor, so dass selbstverständlich beide Tage mit zu zählen sind.
Zählen nur „echte“ Krankheitszeiten oder auch AU-Zeiten wegen Kuren, Reha-Maßnahmen, etc.?
In die Berechnung der 6-Wochen-Frist fließen zunächst alle Zeiten der Arbeitsunfähigkeit mit ein. Die Berücksichtigung der Gründe für krankheitsbedingte Fehlzeiten erfolgt erst im weiteren Verlauf des BEM, i.d.R. bereits beim Erstgespräch.
Was bedeutet „wiederholt arbeitsunfähig“?
Es ist ausschließlich auf die zeitliche Komponente der wiederholten Arbeitsunfähigkeit abzustellen (insgesamt 6 Wochen). Es kommt nicht darauf an, welche Ursachen zu der Arbeitsunfähigkeit geführt haben, also ob immer die gleiche oder ganz unterschiedliche Erkrankungen vorliegen. Einerseits können ganz unterschiedliche Symptome eine gemeinsame physische oder psychische Ursache haben. Andererseits ist der Arbeitgeber nicht immer über die Art der Erkrankung informiert. Aber auch dann, wenn alle Erkrankungen bekannt sein sollten, lohnt es sich, einen Blick auf die wirklichen Ursachen zu werfen und gemeinsam mit der betroffenen Person zu überlegen, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.
Muss jeder Arbeitgeber ein BEM durchführen?
Das Gesetz trifft keine Differenzierungen etwa nach der Größe des Arbeitgebers oder seiner Beschäftigungspflicht nach dem SGB IX. Deshalb sind grundsätzlich alle Arbeitgeber verpflichtet, BEM mit ihren Beschäftigten durchzuführen.
Wann muss der Arbeitgeber tätig werden? Nach Rückkehr der betroffenen Person?
Die Vorschrift knüpft allein an die 6-Wochen-Frist an, nicht an die gesunde Rückkehr der betroffenen Person. BEM ist kein Krankenrückkehrgespräch! Insofern ist grundsätzlich auch während der Phase der Arbeitsunfähigkeit eine Kontaktaufnahme zu der betroffenen Person durchzuführen. Je nach konkreter Erkrankung ist dann das weitere Vorgehen abzustimmen. Nach einem schweren Autounfall oder bei einer langfristigen schweren Erkrankung kommen Maßnahmen am Arbeitsplatz erst in Betracht, wenn die Genesung fortgeschritten ist. Sind psychische Gründe Ursache der Erkrankung, kann es auch für die erfolgreiche Behandlung wichtig sein, konkrete Maßnahmen am Arbeitsplatz sofort zu vereinbaren. Beispiel: Ist eine Kassiererin einer Bank mehrfach Opfer eines Banküberfalls geworden und infolgedessen arbeitsunfähig, kann es notwendig sein, ihr unverzüglich die Versetzung in eine interne Abteilung zu garantieren.
Was ist, wenn keine Interessenvertretung oder keine Schwerbehindertenvertretung gewählt wurde?
Wenn keine Interessenvertretung gewählt wurde, fehlt dem Arbeitgeber der innerbetriebliche Partner für die notwendige Klärung, wie BEM im Einzelfall umgesetzt werden kann. Aus der Vorschrift kann aber nicht entnommen werden, dass die Pflicht zum BEM nur Arbeitgeber betrifft, bei denen eine Interessenvertretung vorhanden ist. Da BEM für alle Arbeitgeber gilt, kann die Verpflichtung zur Durchführung von BEM nicht davon abhängig sein, ob eine Interessenvertretung gewählt wurde. Wenn keine Schwerbehindertenvertretung gewählt wurde, nimmt die Interessenvertretung an ihrer Stelle die Interessen des betroffenen schwerbehinderten Menschen wahr.
Die Fragen und Antworten wurden der Broschüre "Handlungsempfehlungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement" der Landschaftsverbänd Rheinland und Westfalen-Lippe – Integrationsämter entnommen